Migränetag Nr. 4 – juchu! Obwohl im Gegensatz zu gestern heute der Himmel auf Erden ist. Und gestern musste ich zur Therapie, über 4 km mit dem Fahrrad eine Strecke. Musste, weil mich eine Sitzung, die ich nicht rechtzeitig absage, 40 € kostet, und solange ich nicht mehr tot als lebendig bin, kann ich es mir kaum leisten, diese 40 € zu verlieren.
Bei der Sitzung ging es natürlich darum, warum ich solche Migräne habe, und ich habe das Aufeinandertreffen verschiedener Gründe vermutet, von denen einige mit dem Jobcenter zu tun haben. Meine Therapeutin meint dazu, ich müsste mich besser von der Behandlung durch das Jobcenter abgrenzen lernen, statt mich darüber aufzuregen oder Angst zu haben vor der nächsten Drohung/Unterstellung. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass meine Einwände nicht bei ihr ankamen, und ich bin mit Migräne nun auch nicht in Hochform, was Diskussionen angeht.
Grundsätzlich halte ich den Vorschlag, nicht jedes Mal Bluthochdruck zu bekommen, wenn von denen ein Brief im Briefkasten landet, nicht für verkehrt. Ich würde mich aber gerne vorher damit ernst genommen fühlen, dass ich mich nicht anstelle und einfach mal ein bisschen gelassener sein müsste, sondern die Behandlung durch die Mitarbeiter – und erst recht, dass es gesetzlich legitimiert ist – unter aller Sau ist.
„Ignorieren Sie doch einfach den Ton, in dem die Briefe verfasst sind. Die müssen so schreiben. Das ist auf die kleine Gruppe derjenigen gemünzt, die den Staat um Sozialleistungen betrügen.“ Macht es das irgendwie besser? Dass eine große Gruppe von Menschen auf eine Art und Weise adressiert werden darf, in der ihr fortwährend unterstellt wird, kriminell zu sein? Weil es eventuell eine geringe Anzahl unter ihnen gibt, die voll dreist das System ausnutzen? Ich rege mich über den Ton auf. Sowohl ich als auch jeder andere ALG-II-Empfänger hat das Recht darauf, wie ein Mensch behandelt zu werden. Statt dass ich lernen sollte, den Ton zu ignorieren, finde ich, dass es verboten werden sollte, einen solchen Ton zu benutzen.
„Sie nehmen das persönlich. Das ist aber nicht persönlich gemeint.“ Nein, ich nehme das nicht persönlich. Wenn ich davon ausgehen würde, dass mein Sachbearbeiter es speziell auf mich abgesehen hat, würde ich mich bei dessen Vorgesetzten beschweren. Der Punkt ist, dass sie mit uns ALG-II-Empfängern so umgehen dürfen. Ich kann mich nirgendwo beschweren, weil das Verhalten System hat und rechtens ist. Ich weiß auch, dass die mir nicht so viele Steine mit der Selbstständigkeit in den Weg legen, weil es ihnen Spaß macht, speziell auf mir herumzuhacken, sondern weil es von oben vorgegeben ist, ALG-II-Empfänger an einer Selbstständigkeit zu hindern (das haben mir zwei Mitarbeiter unabhängig voneinander, natürlich netter verpackt, gesagt).
„Wenn Ihre Selbstständigkeit sich weiter so gut entwickelt, sind Sie doch irgendwann aus dem Bezug draußen. Konzentrieren Sie sich darauf.“ Ja, aber wieder geht es darum, dass ich das nicht persönlich nehme. Ich hoffe darauf, dass mir früher oder später der Absprung gelingt, aber trotzdem werden dann immer noch Millionen Menschen derart behandelt. Die Einstellung: „Ich bin bald draußen, dann braucht es mich nicht mehr zu kümmern“ scheint mir ziemlich egositisch. Ich würde mich über viele andere Dinge genauso aufregen, wenn ich damit mehr in Berührung käme (Fremdenfeindlichkeit, Kinderarbeit, Terrorismus …) und weil ich weiß, wie schnell das Migräne oder Depressionen auslöst, meide ich eine zu intensive Beschäftigung mit vielen Themen. Eine Taktik, die ich leider seit Jahren als notwendig erachte, um psychisch stabil zu bleiben.
„Wenn Sie den ALG-II-Satz, den Sie bekommen, anhand der Stunden, die Sie mit dem Jobcenter zu tun haben, in einen Stundenlohn umrechnen, ist der Satz ziemlich gut.“ Kann schon sein, aber wenn die die Briefe und Unterlagen (genau) lesen würden, die ich Ihnen schicke, müsste ich nur halb so viele Stunden fürs Jobcenter aufwenden, und bekäme deutlich weniger Sie-sind-eine-Verbrecherin-Briefe. Ist das echt zu viel verlangt, dass die Mitarbeiter im Jobcenter lesen können? Ist es echt zuviel verlangt, dass ich, wenn ich die auf ein Versäumnis ihrerseits zu meinen Gunsten hinweise, einen Brief erhalte mit: „Danke, dass Sie uns darüber in Kenntnis gesetzt haben …“ statt „Wie wir festgestellt haben, haben Sie versucht, uns um Geld zu betrügen. Zahlen Sie bis zum xx den Betrag zurück oder wir werden Konsequenzen einleiten“? Ich war damals noch recht naiv und habe mit ersterem gerechnet und war nach dem Brief erst mal Tage emotional total neben der Spur.
„Nehmen Sie die Drohungen nicht so ernst, beim Jobcenter wird auch nicht so heiß gegessen, wie gekocht wird.“ Nun ja, da bin ich anderer Meinung, ich bin nur noch nie sanktioniert worden, weil ich immer brav mitgespielt oder die Unterstellungen zeitnah (teils mit rechtlichem Beistand) widerlegt habe und zumindest mit den Jobvermittlern meist Glück hatte. Jobcenteraktivistin hat dazu bestimmt Zahlen (falls du zufällig die Tage hier reinschaust)? Abgesehen davon gehören auch die Sanktionen an sich verboten – das Existenzminimum kürzen zu dürfen – ist das pervers oder ist das pervers?
Sie sagt, sie habe selber auch einmal Sozialhilfe bezogen und solche Briefe bekommen – wie kann Sie dann nicht nachvollziehen, wie das mit der Zeit auf die Psyche schlägt (erst recht, wenn man eh psychisch angeknackst ist)? Wie soll man gegen die Behandlung als Mensch zweiter Klasse über Jahre hinweg immun bleiben?
Ich übernehme keine Gewähr dafür, ob meine Therapeutin es anders gemeint haben könnte, als es bei mir ankam. Aber das ist es, wie ich ihre Äußerungen interpretiert habe und was es bei mir ausgelöst hat. Ich weiß, dass es ihr darum geht, mich zu stabilisieren, aber ich glaube nicht, dass gegenüber Unrecht abzustumpfen und es hinzunehmen, der Weg ist – und so kommen mir ihre Vorschläge vor. Wie schaffe ich es nun, auf andere Weise konstruktiver oder gelassener mit dem Jobcenter umzugehen?
So, und damit wir trotzdem alle mit einem positiven Gefühl aus diesem Beitrag gehen, hier das Känguru im Jobcenter: