Berlin, den 16.10.2017
Oury Jalloh kein Einzelfall im Polizeirevier Dessau!
3 ungeklärte Todesfälle und nachweislich manipulierte Beweismittel
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Einstellungen der Todesermittlungsverfahren ohne Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaften sind in Fällen tödlicher Gewaltanwendungen von Polizeibeamt*innen oder Todesfällen im Verantwortungsbereich der Justizvollzugsanstalten der sogenannte „Goldstandard“ im deutschen Rechtsstaat.
Die Leitende Oberstaatsanwältin Heike Geyer aus Halle verkündet in ihrer Pressemitteilung vom 12. Oktober 2017 sie habe nach „sorgfältiger Prüfung der vorliegenden Erkenntnisse […] die Ermittlungen zum Tod des Oury Jalloh eingestellt“, weil sich angeblich „keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung“ ergeben hätten. Weitere Aufklärung sei nicht zu erwarten, da „eine Vielzahl an Möglichkeiten denkbar“ seien „und mithin eine Brandlegung durch ihn selbst nicht ausgeschlossen werden kann.“
Dieser Aussage stehen nicht nur mehrere Gutachten im Fall selbst entgegen, sondern es gibt darüber hinaus auch mehr als lediglich „Anhaltspunkte“ dafür, dass im Polizeirevier Dessau über viele Jahre hinweg Menschen willkürlich festgehalten, gedemütigt und misshandelt worden sind – und es gab gleich drei ungeklärte Todesfälle:
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Hans-Jürgen Rose (verstorben am 08.12.1997),
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Mario Bichtemann (verstorben am 30.10.2002) und
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Oury Jalloh (verstorben am 07.01.2005).
Der in Wolfen geborene Hans-Jürgen Rose verstarb am 8. Dezember 1997 an schwersten innerlichen Verletzungen, wenige Stunden nachdem er in der Nacht zum 7.12.1997 mehrere Stunden im Polizeirevier Dessau festgehalten worden war. In den Ermittlungsakten zum Fall Rose ist unter anderem folgende Aussage eines Polizeibeamten dokumentiert: „Dem habe ich noch eine Richtige verpasst!“
Der Tod von Hans-Jürgen Rose wurde nie aufgeklärt, obwohl es deutliche Hinweise darauf gab, dass er im Speisesaal des Reviers an eine Säule gekettet und mit Schlagstöcken und Tritten gefoltert wurde. So wurden beispielsweise eine Vielzahl von DNA-Spuren des Opfers an der besagten Säule gesichert.
Am 30.10.2002 verstarb der Dessauer Bürger Mario Bichtemann in der gleichen Zelle wie Oury Jalloh an einer inneren Blutung nach Schädelbasisbruch. Es wurde behauptet, Bichtemann hätte sich diese tödliche Verletzung bereits vor seiner Inhaftierung in die Zelle 5 zugezogen, was die verantwortlichen Polizeibeamten allerdings nicht hätten ahnen oder wissen können. Wie aber erklären sich „bluttypische Anhaftungen“ an gleich verschiedenen Stellen der gefliesten Gewahrsamszelle? Antworten? Fehlanzeige!
Auch in diesem Fall war der 2012 in Magdeburg verurteilte Andreas Schubert der zuständige Dienstgruppenleiter. Das folgende staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde im Oktober 2004 eingestellt und eine interne Untersuchung des Vorfalls gegen ihn und einen weiteren Polizeibeamten dann kurz nach dem Tod Oury Jallohs und auf Empfehlung des damaligen Revierleiters Gerald Kohl durch die damalige Polizeipräsidentin Brigitte Scherber-Schmidt* beendet.
*(Brigitte Scherber-Schmidt – die übrigens auch in den Staatsschutz- und Ausspähskandal 2007 ff verwickelt war – ist Stand heute zur Ministerialrätin und Stellvertretenden Abteilungsleiterin Polizei als Referatsleiterin für Gefahrenabwehr aufgestiegen.)
Hinweise auf mögliche Täter und zwingende Ausschlusskriterien gegen die „Selbstanzündungshypothese“ finden sich sehr wohl in den Gerichtsakten
Im Fall von Oury Jalloh ergaben unabhängige Abbrandversuche im Jahre 2013, dass das am 7. Januar 2005 vorgefundene Brandbild ohne die Verwendung von Brandbeschleuniger nicht zu erreichen ist. Zusätzlich gibt es zwingende Beweise für eine notwendige Tatausführung Dritter:
Es befand sich einfach kein geeignetes Zündmittel in der Todeszelle Nr. 5, mit dem Oury Jalloh die Matratze überhaupt hätte in Brand setzen können.
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An dem nachträglich präsentierten Feuerzeugrest konnten ausschließlich tatortfremde Spuren (jeweils unbekannte Faserreste, Tierhaare und DNA) nachgewiesen werden. Die Frage, wie es möglich oder „denkbar“ sein soll, dass Oury Jalloh das Feuer ohne ein Feuerzeug entfacht haben könnte, ließ sowohl die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau, wie auch nun die in Halle unbeantwortet.
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Hinzu kommt andererseits, dass die beiden Polizeibeamten, die Oury Jalloh am Morgen des 7.1.2005 rechtswidrig festgenommen und später im Polizeigewahrsam 4-Punkt-fixiert hatten, für den engeren Tatzeitraum kein „tatsächliches“ Alibi haben. Laut Zeugenaussage eines Kollegen vor den Landgerichten von Dessau und Magdeburg hatte dieser die beiden Beamten zur Mittagszeit – ca. eine halbe Stunde vor Brandausbruch(!) – noch einmal in der Zelle beobachtet. Er sah, wie sie an Oury Jallohs Körper hantierten…
…danach haben nur noch zwei Beamte Oury Jalloh lebendig gesehen, bevor er verbrannte: Es soll sich eine „farblose Flüssigkeit auf dem Boden“ befunden haben und seine Hose „halb heruntergezogen“ gewesen sein.
„Ausreichende Anhaltspunkte“ für einen Mord gibt es also „tatsächlich“ – und konkretisierbare Hinweise auf die Täter auch … das ‚Einzige‘ was fehlt, ist der rechtsstaatliche Wille zur Aufklärung eines Todesfalles, der „…so nie hätte passieren dürfen“!
Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen zum Feuertod von Oury Jalloh einzustellen bestätigt den oben erwähnten „Goldstandard“ nach langen 12½ Jahren in der erstaunlich kurzen Zeit von nur 3 Monaten und bestätigt damit – entgegen der Faktenlage in den Akten – eine Hypothese, die bereits vor Beginn der Tatortermittlungen am 7. Januar 2005 dokumentiert worden war: „Ich begebe mich jetzt in den Keller, in dem sich ein schwarzafrikanischer Bürger in einer Arrestzelle angezündet hat.“
(https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/brandgutachten/video-brandgutachen-fire-investigation/)
Was bleibt ist ein „hinreichender Verdacht“, dass genau das mit der Übergabe der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft Halle bezweckt worden war – die Einstellung des Verfahrens durch eine vorgeblich „unbelastete“ Ermittlungsbehörde … und natürlich das damit verbundene Signal an die Verantwortlichen in Uniform, dass ihre Straftaten weiterhin „undenkbar“ seien.
Der Rechtsstaat in Deutschland hat einmal mehr bewiesen, dass ihm der Schutz exekutiver Standesvertreter staatlicher Behörden vor strafrechtlicher Verantwortung allemal wichtiger ist, als die Befriedung der berechtigten Ansprüche der Hinterbliebenen auf nachvollziehbare Ermittlungen zum Tod ihrer Angehörigen. Eine fatale, staatsräsonale Kontinuität, der nur durch die Schaffung politisch und polizeilich unabhängiger Untersuchungskompetenzen Einhalt geboten werden kann.
OURY JALLOH — DAS IST NICHT DER EINZIGE UNAUFGEKLÄRTE MORD !